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Äpfel mit Charakter
Warum Einheitsäpfel passé sind
Keine Lust mehr auf Supermarkt-Schönheiten? Alte Apfelsorten gelten als intensiver und bekömmlicher. Aber: Wo bekomme ich sie her und was muss ich beachten? Ein Leitfaden durch den Apfel-Dschungel.
26. März 2024
Sie heißen Ananasrenette, der Schöne aus Boskoop oder Geflammter Kardinal. Genauso facettenreich wie ihre Namen ist die Vielfalt bei alten Apfelsorten. Seit den 2000er-Jahren interessieren sich immer mehr Menschen für dieses teilweise über Jahrhunderte gezüchtete Obst, das man oft nicht im Supermarkt findet.
Im 19. und 20. Jahrhundert sind im deutschsprachigen Raum mindestens 2.000 unterschiedliche Apfelsorten angebaut worden. Viele davon sind inzwischen wieder verschwunden. „Sie haben sich am Markt nicht durchgesetzt, waren zu klein, zu unansehnlich, nicht schmackhaft genug oder zu anfällig für Krankheiten“, bedauert Hartmut Brückner, Vorsitzender des Bergischen Streuobstwiesenvereins aus Overath bei Köln.
Ein Schicksal, das diese Äpfel mit vielen alten Sorten Kirschen, Pflaumen und Birnen teilen. Inzwischen kümmern sich Verbände wie der Deutsche Pomologen-Verein um diese historisch gewachsenen Sorten, wie dessen Sprecher Joachim Reinig erläutert: „Wir wollen die genetische Vielfalt dieser Sorten erhalten. Wir wissen heute ja noch nicht, wozu wir diese noch einmal gebrauchen können.“
Die Vorteile: Echte Spezialisten für Säfte, Backwerk oder Gekochtes
„Die alten Apfelsorten sind in der Regel herber, säurehaltiger, aromatischer“, beschreibt Hartmut Brückner. „Es gibt Sorten, die sich zum kurzfristigen Verzehr direkt vom Baum eignen, andere lassen sich gut backen und kochen oder zu Saft beziehungsweise Schnaps verarbeiten“, ergänzt Joachim Reinig. Hier unterscheidet man auch zwischen den essfertigen Tafeläpfeln und den Wirtschaftsäpfeln, die erst weiterverarbeitet werden müssen.
Der Faktor Geschmack lässt sich mitunter durch etwas Geduld beeinflussen, denn bei vielen alten Sorten liegt eine erhebliche Spanne zwischen dem Pflück- und dem optimalen Genusszeitpunkt, sagt Reinig. Er verweist auf den Altländer Pfannkuchenapfel: „Dieser wird Anfang Dezember geerntet und ist erst im Januar verzehrreif.“ Diese Sorte kann dann auch bis Mai gelagert werden, ohne dass sie gekühlt werden muss.
Die Nachteile: Beim Anbau braucht es Geduld
Wenn man selbst alte Apfelsorten anbauen will, sollte man wissen, worauf man sich einlässt. „Alte Sorten wachsen auf hochstämmigen Obstbäumen, deren Anbau und Pflege umfangreich und kompliziert ist. Es dauert mindestens 15 Jahre, bevor die Bäume einen nennenswerten Ertrag bringen“, sagt Hartmut Brückner. Rein wirtschaftlich betrachtet, rechnen sich diese hochstämmigen Obstwiesen nicht. Von den Supermarktäpfeln hält er dennoch wenig: „Sie werden bewusst süß und überwiegend rotfarbig gezüchtet. Sie haben alle gleiche Größe, gleiche Farbe, keine Schorf- und Regenflecken und nie einen Wurm.“ Diese meist neueren Sorten gedeihen nur auf Plantagen aus Niederstammbäumen. Um die Früchte supermarkttauglich zu bekommen, müssten sie viele Male gegen Pilz- und Insektenbefall gespritzt werden.
Der Apfel als Lifestyle: Naturschutz auf der Streuobstwiese leben
Mitunter ist es nicht ganz einfach, an Äpfel aus alten Sorten zu kommen. Joachim Reinig verweist auf einzelne Bio-Supermärkte, aber auch auf Hofläden und Wochenmärkte, die gezielt von ganzheitlich ausgerichteten Obstbauern angesteuert werden: „Hier lassen sich auch wertvolle Kontakte knüpfen, wenn man selbst alte Apfelsorten anbauen möchte.“ Allerdings brauchen die Hochstammbäume alter Sorten viel Platz, zudem gedeiht nicht jede Sorte Apfel an jedem Standort.
Interessenten empfiehlt Reinig, sich lokalen Streuobstwiesen-Projekten anzuschließen, die häufig von Naturschutzorganisationen betrieben werden und einen pädagogischen oder ökologischen Hintergrund haben. Solche Vorhaben werden teils mit öffentlichen Mitteln gefördert. Aus gutem Grund, wie Hartmut Brückner sagt: „Streuobstwiesen bieten vielen Pflanzen und Tieren einen Lebensraum, darüber hinaus verbessern sie das Landschaftsbild und das Lokalklima.“
Oberes Bild: Kristin Schmidt/dpa-Zentralbild/dpa