• Was gegen Höhenschwindel und Höhenangst hilft

    Was gegen Höhen­schwin­del und Höhen­angst hilft

Hinauf, hinauf – doch oben an­ge­kom­men auf dem Berg oder Turm kann einem ganz schön mul­mig wer­den. Und nun?

8. Mai 2023

Der Wanderweg am Berg, der Aus­sichts­turm, der Ses­sel­lift oder die Lei­ter: Diese Orte sind für viele eine Heraus­for­de­rung. Denn hoch oben kann es pas­sie­ren, dass man sich ir­gend­wie flau fühlt, leicht schwin­de­lig. Vor allem beim Hinunter­gucken. Höhen­schwin­del heißt die­ses Phä­no­men. Un­nor­mal ist das nicht, im „Gegen­teil“. „Nahe­zu jeden trifft es, selbst jene, die mit Höhe keine Pro­ble­me haben“, sagt Prof. Thomas Brandt. Er ist als Neu­ro­lo­ge am Deut­schen Schwin­del- und Gleich­ge­wichts­zen­trum der Ludwig-Maxi­mi­lians-Uni­ver­si­tät in München tätig.

Höhenschwindel: Eine natür­liche Schutz­funk­tion

Forschungen zu­fol­ge rea­giert der Mensch mess­bar ver­un­sichert, wenn er die ge­wohn­te Um­ge­bung nicht mehr auf der ge­wohn­ten Ebene wahr­neh­men kann. Bäu­me, Häu­ser – alles liegt mit einem Mal tief unter einem. „Solche un­ge­wohn­ten vi­suel­len Rei­ze sind angst­ein­flö­ßend, da­durch ent­steht Höhen­schwin­del“, sagt Neu­ro­loge Brandt. Dabei läuft un­be­wusst eine be­stimm­te Reak­tion ab: Der Kör­per ver­sucht, sein Gleich­ge­wicht zu fin­den und zu hal­ten. „In­so­fern schützt uns Höhen­schwin­del vor einem Ab­sturz“, sagt Brandt. Stei­gert sich in einer Höhen­schwin­del-Si­tua­tion die Angst, wirkt sie lebens­be­droh­lich und un­kon­trol­lier­bar, dann ist von Höhen­angst die Rede. Sie geht nicht sel­ten mit Panik­at­tacken einher, mit Zit­tern und Schweiß­aus­brüchen. „Höhen­angst ist eine Angst­er­kran­kung, die be­hand­lungs­be­dürf­tig ist“, sagt Brandt.

Tipps vom Schwindelexperten

Was also tun, um in der Höhe schwin­del­frei zu wer­den – und wie lässt sich die Ent­stehung von Höhen­angst ver­hin­dern? Thomas Brandt gibt diese Tipps:
  • Nicht nach unten gucken: Klingt banal, ist aber effek­tiv. Wer zu Höhen­schwin­del neigt, blickt bes­ser nicht in die Tiefe, son­dern Rich­tung Hori­zont. Halten Sie sich ge­ge­be­nen­falls an einem Git­ter oder an einem Felsen fest.
  • Keine Wolken verfolgen: Beim Blick in der Höhe Rich­tung Hori­zont bloß nicht vor­bei­zie­hen­de Wol­ken hin­ter­her­schauen. „Das kann einen glatt um­hauen“, sagt Brandt.
  • Auf Kör­per­hal­tung achten: In der Höhe ver­steift sich bei vie­len der Kör­per, der Kopf wird we­ni­ger be­wegt. Setzen Sie sich kurz, wenn mög­lich, oder knien Sie sich hin, um locke­rer zu werden.
  • Sich ablenken: Wer zu Höhen­schwin­del ten­diert, soll­te sich ge­dank­lich an­der­wei­tig orien­tie­ren. Etwa bei einem Ge­spräch mit Be­gleit­per­so­nen. Oder Namen von Blu­men auf­zäh­len, eine Rechen­auf­gabe im Kopf lösen.
  • Fernglas-Gucken meiden: Vorsicht beim Blick durchs Fern­glas in der Höhe, denn die vi­suel­len Rei­ze, die sich durch den Blick durchs Fern­glas bie­ten, kön­nen Schwin­del ver­stär­ken. Das kann lebens­ge­fähr­lich wer­den, wenn man dabei nicht ge­sichert ist.
  • Achtsam sein: Auf einer Leiter ste­hend macht es Sinn, immer in Rich­tung Wand, Ge­bäu­de oder Berg zu sehen. Nicht seit­wärts gucken, achtsam sein.

Sich selbst de­sen­si­bi­li­sie­ren – so geht’s

Damit aus Höhen­schwin­del keine Höhen­angst ent­steht, soll­te man sich re­gel­mä­ßig de­sen­si­bi­li­sie­ren. „Das geht, indem man sich immer wie­der den angst­ein­flö­ßen­den Rei­zen aus­setzt“, sagt Thomas Brandt. Ge­lingt dies nicht und ist die Le­bens­qua­li­tät durch Höhen­angst stark ein­ge­schränkt, liegt eine Angst­er­kran­kung vor. Ein Merk­mal ist, dass man angst­ein­flö­ßen­de Si­tua­tio­nen kom­plett mei­det. Der Auf­stieg auf die Aus­sichts­platt­form oder sogar die Lei­ter ist undenkbar.
„Helfen kann eine kog­ni­ti­ve Ver­hal­tens­the­ra­pie“, sagt der Würz­bur­ger Psy­cho­lo­gie-Pro­fes­sor Martin Herrmann. Dabei er­ar­bei­tet eine The­ra­peu­tin oder ein The­ra­peut ge­mein­sam mit dem Pa­tien­ten ein Modell, wie er oder sie die Angst­si­tua­tion be­wäl­ti­gen kann. „In der Vor­be­rei­tung ent­wickeln die Pa­tien­ten die Mo­ti­va­tion, die angst­ein­flö­ßen­de Si­tua­tion neu zu ver­ste­hen“, sagt Martin Herrmann, der am Uni­ver­si­täts­kli­ni­kum Würz­burg arbeitet.
Leidet jemand unter Höhen­angst, hat er oder sie die Ten­denz zur Flucht – also die Si­tua­tion so schnell wie mög­lich hinter sich zu lassen. Das Pro­blem einer Höhen­angst: Wer be­stimm­te Si­tua­tio­nen mit Höhe ganz mei­det, hat keine Mög­lich­keit, neue und wo­mög­lich po­si­ti­ve Er­fah­run­gen zu sammeln.

Die Angst verlernen

In der Therapie lernt der oder die Be­trof­fe­ne durch gute An­lei­tung und Vor­be­rei­tung, in der Si­tua­tion zu blei­ben, bis die Angst nach­lässt. „Es geht darum, die Angst zu ver­ler­nen“, sagt Herrmann.
Das kann dauern. An­fangs ist wo­mög­lich die Angst noch stark. Wer durch­hält und ein po­si­ti­ves Feed­back vom The­ra­peu­ten oder von der The­ra­peu­tin be­kommt, schöpft Selbst­ver­trauen. Bei der zwei­ten Sit­zung klappt es viel­leicht schon besser. Bis die Angst ir­gend­wann schließ­lich ganz wegbleibt.
Dieses Prinzip der so­ge­nann­ten Ex­po­si­tions­be­hand­lung ist übri­gens schon seit lan­gem be­kannt: Schon der Dich­ter Johann Wolfgang von Goethe (1749-1832) hat dem Ver­neh­men nach seine Höhen­angst so in den Griff be­kom­men. Eine Weile lang soll er tag­täg­lich mehr als hun­dert Meter hoch aufs Straß­bur­ger Müns­ter ge­klet­tert sein.
Foto: Franziska Gabbert/dpa-tmn

Autorin

Pia Marie Wenholz

Pia Marie Wenholz

Pia Marie Wenholz ist Mit­­a­r­bei­­te­­rin der Öffent­lichen Olden­burg. Sie ist ver­ant­wort­lich für den Be­reich Pres­se und Kommu­ni­ka­tion.

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