Die doppelte Tal­sperre

Zwei Olden­bur­ger er­zäh­len von Dör­fern unter dem Wasser

Talsperren sind im Olden­bur­ger Land eher sel­ten zu fin­den. Umso mehr über­rascht es, dass sich zwei Au­to­ren, die beide in Olden­burg leben, mit Tal­sper­ren be­fass­ten und über­dies bei­de ins Sauer­land blick­ten. Erst nach der Ver­öffent­lichung ihrer Bücher haben sie sich ken­nen­ge­lernt: Henriette Dyckerhoff und Jos F. Mehrings. Ohne von­ein­an­der zu wis­sen, schrie­ben beide nahe­zu zeit­glich über die­sen gi­gan­ti­schen Ein­griff in die Land­schaft, der von der Re­gie­rung als zu­kunfts­orien­tiert ge­feiert wird und für die Be­woh­ner die Ver­nich­tung ihrer Hei­mat be­deu­tet. Auf ganz unter­schied­liche Wei­se er­zählt, las­sen beide Ro­ma­ne ein Stück Zeit­ge­schich­te le­ben­dig werden.

2. Januar 2020

Henriette Dyckerhoff
Bild: Henriette Dyckerhoff
Der Roman „Was man unter Was­ser sehen kann“ von Henriette Dyckerhoff er­zählt von drei Frauen­ge­ne­ra­tio­nen und dem Schick­sal eines Dor­fes. Die Haupt­per­son ist die fast drei­ßig­jäh­ri­ge Luca, die aus dem sauer­län­di­schen Ronn­bach nach Berlin ge­zo­gen ist. Als plötz­lich ihre Mut­ter ver­schwin­det, kehrt Luca wider­wil­lig in die alte Hei­mat zurück. Dort wuchs sie zwi­schen Mut­ter und Groß­mut­ter auf, und zu­gleich zwi­schen zwei Frauen, die ein­an­der das Le­ben schwer­mach­ten. Da­mals ver­stand sie nicht, warum. Jetzt sucht sie nach Ant­wor­ten. Sie er­fährt, dass ihre Fa­mi­lien­ge­schich­te ihren An­fang nahm, als das Ronne­tal in den 60er Jah­ren gegen den Wil­len ei­ni­ger Be­trof­fe­ner ge­flu­tet wer­den und ein gan­zer Ort  damit ver­sin­ken soll­te. Weder die Ver­sion der Mut­ter noch der Groß­mut­ter deckt sich mit dem, was da­mals im Tal ge­sche­hen sein muss und zum Ver­schwin­den des ur­sprüng­lichen Ronn­bachs führ­te. Um das Ver­schwin­den kreist schließ­lich der gan­ze Roman.

Die Ini­tial­zün­dung war eine TV-Doku­men­ta­tion über die Bigge­tal­sper­re, be­rich­tet Henriette Dyckerhoff. Noch in den frü­hen 50er Jah­ren war das Bigge­tal ein grü­nes Idyll mit klei­nen Dör­fern. 1956 ent­schied die Re­gie­rung, als Was­ser­spei­cher für die Re­gion einen Stau­see an­zu­le­gen. Meh­re­re tau­send Men­schen wur­den um­ge­sie­delt. Sie muss­ten zu­se­hen, wie ihre Häu­ser unter den Flu­ten be­gra­ben wur­den. „Ich konn­te mir nicht vor­stel­len, dass es für die ehe­ma­li­gen Be­woh­ner des Tals so ein­fach ge­we­sen war. Mir sind sofort mög­liche Dra­men ein­ge­fal­len, die ich dann zu einer Ge­schich­te ver­spon­nen habe.“ So dien­te die rea­le Bigge­tal­sper­re als Vor­bild für die Ronne­tal­sperre im Roman. „Die Orte, die beim Bau einer Tal­sperre unter Wasser ver­schwin­den, sind weg und kön­nen auch nicht mehr auf­ge­sucht wer­den. Da, wo ein­mal ein Dorf war, Wie­sen und Wald, sieht man nur noch Was­ser­ober­fläche. Und dann ver­schwin­det ja auch noch die Mut­ter der Pro­ta­go­nis­tin. Ihr Ver­schwin­den ist ge­nau­so un­be­greif­lich wie das Ver­schwin­den der Hei­mat.“  Henriette Dyckerhoff, Jahr­gang 1977, wurde selbst im Sauer­land ge­bo­ren. Sie stu­dier­te Phi­lo­so­phie und So­zio­lo­gie in Olden­burg. Heute ar­bei­tet sie als freie Lek­to­rin und schreibt Sach­bücher. Für ihr be­rü­hrend ge­schrie­be­nes De­büt „Was man unter Was­ser sehen kann“ er­hielt sie ein Sti­pen­dium des Lan­des Nie­der­sachsen.

Jos F. Mehrings
Bild: Jos F. Mehrings
Wie der Titel „Nie­mand hat die Ab­sicht“ schon ver­mu­ten lässt, schil­dert Jos F. Mehrings den Tal­sper­ren­bau aus an­de­rer Pers­pek­ti­ve. Der Autor spielt auf die Lüge von DDR-Staat­schef Walter Ulbricht an, der im Som­mer 1961 ver­kün­de­te „Nie­mand hat die Ab­sicht, eine Mauer zu er­rich­ten“.  Zur sel­ben Zeit spielt auch der Roman. Schau­platz ist eben­falls das Sauer­land. Bei Mehrings ist es das fik­ti­ve Ört­chen Malve. Sein Pro­ta­go­nist ist der 57-jäh­ri­ge Bür­ger­meis­ter Heinrich Kollmann, dessen ru­hi­ges Leben in kur­zer Zeit gänz­lich aus den Fugen ge­rät. Zuerst schlit­tert er in eine Be­zie­hung zu der Polin Ewa. Dann wird er immer tie­fer in eine Af­fä­re um den Bau einer Rie­sen­tal­sper­re verstrickt. Sei­ne Ehe­frau ver­treibt ihn vom Hof, er taucht unter, wech­selt die Iden­ti­tät. Sei­ne ein­zi­ge Ver­bün­de­te ist Toch­ter Marie, die in Müns­ter Jura stu­diert. So er­fah­ren die Leser auch viel vom Lokal­ko­lo­rit der Uni­ver­si­täts­stadt. In einer dich­ten Folge ein­zel­ner Er­eig­nis­se er­zählt, ist es ein humor­vol­les Buch vol­ler Sprach­witz. Im wirk­lichen Leben hat Prof. Dr. Josef Mehrings selbst sein Jura­stu­dium in Müns­ter be­gon­nen. Spä­ter lehr­te an der dor­ti­gen Fach­hoch­schu­le Wirt­schafts­recht. Nach zahl­rei­chen ju­ris­ti­schen Fach­ver­öffent­lichun­gen schrieb er mit „Nie­mand hat die Ab­sicht“ sei­nen ers­ten Roman. Auf die Frage, was ihn dazu an­ge­trie­ben habe, aus­ge­rech­net über einen Tal­sper­ren­bau im Sauer­land zu schrei­ben, nennt Jos Mehrings meh­re­re Grün­de: „Ein Freund von mir hat immer wie­der von sei­nem Roman er­zählt, den er seit 30 Jah­ren schreibt, ein an­de­rer Freund kommt aus Balve im Sauer­land und hat immer wie­der vom Sauer­land er­zählt, und schließ­lich habe ich im Urlaub in Madrid einen ägyp­ti­schen Tem­pel ge­se­hen, der von Ägyp­ten nach Spa­nien um­ge­setzt wor­den war. Und schon war die Idee ge­bo­ren.“ Dabei haben ihn Tal­sper­ren schon in der Kind­heit sehr be­ein­druckt. „Ich war mit mei­nen El­tern im Harz und habe stau­nend den rie­si­gen Stau­damm einer Tal­sper­re be­wun­dert. Als viel­leicht Acht­jäh­ri­ger war es für mich un­be­greif­lich, dass sich unter dem Wasser ein gan­zes Dorf be­fin­den soll­te und dass zahl­reiche Men­schen wegen des Tal­sper­ren­baus ge­zwun­gen waren, um­zu­zie­hen. Im Roman woll­te ich be­schrei­ben, was in einem Dorf, ins­be­son­de­re bei des­sen Bür­ger­meis­ter aus­ge­löst wird, wenn sei­ner Ge­mein­de ein sol­ches Schick­sal droht.“

Autorin

Birgit Denizel

Birgit Denizel

Birgit Denizel M.A., Kunst- und Kultur­wis­sen­schaft­le­rin, Re­si­denz­ort Rastede GmbH, Projekt­leitung.

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Infothek

Jos F. Mehrings Roman „Nie­mand hat die Ab­sicht“ er­schien am 7. De­zem­ber 2018 als Taschen­buch im Geest-Ver­lag. Henriette Dyckerhoffs Roman „Was man unter Was­ser sehen kann“ wurde als ge­bun­de­nes Buch vom Auf­bau Ver­lag am 15. Fe­bruar 2019 heraus­ge­ge­ben. Bei­de Ro­ma­ne sind im Han­del  er­hält­lich.

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Birgit Denizel

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Birgit Denizel M.A., Kunst- und Kultur­wis­sen­schaft­le­rin, Re­si­denz­ort Rastede GmbH, Projekt­leitung.

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