Drei Mal Leben
Neue Inszenierung im theater hof/19
„Drei Mal Leben“zeigt drei Möglichkeiten, wie ein und derselbe Abend hätte verlaufen können. Dieser beginnt damit, dass Sonja und Henri überraschend Besuch von den Finidoris bekommen. Das Ehepaar steht einen Tag zu früh vor der Tür...
15. November 2021
Eigentlich war ein gemütliches Paardinner zu viert geplant, um den einflussreichen Astrophysiker Hubert Finidori dafür zu gewinnen, Henri – ebenfalls Kosmologe – zu einer Beförderung zu verhelfen. Anlass ist Henris endlich zur Veröffentlichung bereiter Artikel über die Beschaffenheit galaktischer Halos, doch nun ist nichts für diesen entscheidenden Abend vorbereitet. Bei Wein und Kräcker, denn mehr ist nicht im Haus, berichtet Hubert scheinbar beiläufig, dass die Thematik von Henris langjähriger Forschungsarbeit gerade im Aufsatz eines Konkurrenten erschienen ist. Für den sensiblen Henri ist die Hoffnung auf seine berufliche Karriere damit geplatzt. Und dann ist da noch der Sohn der Gastgeber, der kleine Arnaud, dessen nervendes Gequengel zu eifrigen Diskussionen um Erziehungsprinzipien führt.
Diese Geschichte spielt sich drei Mal in unterschiedlichen Konstellationen und mit wechselnden Charakteren ab. Brillant gespielt, zelebriert Hubert (Dieter Hinrichs) die offensichtliche Neigung, seine Mitmenschen zu demütigen, während sich Henri (Orhan Müstak) vom opportunistischen Kriecher zum aufmüpfigen Zyniker verwandelt. Die Frauen sind indes die Gegenbilder ihrer Männer: Sonja (Marie Luise Gunst) ist eine erfolgreiche Juristin und Ines Finidori (Maike Jebens) der Prototyp einer Berufsgattin, deren größte Sorge eine Laufmasche zu sein scheint. Glas für Glas ertränkt sie die Gemeinheiten ihres narzisstischen Ehemanns in Alkohol. Gleichermaßen humorvoll wie bitterböse führen überraschende Wendungen und Allianzen zu immer neuen Versionen der Eskalation. Dabei werden Enttäuschung und Zweifel, Wünsche und Ungewissheit verhandelt.
Mit dem Titel „Trois versions de la vie“ hat Yasmina Reza das Stück bereits im Jahr 2000 geschrieben. Die französische Dramatikerin, die später auch „Gott des Gemetzels“ verfasste, ist bekannt für ihre messerscharfen Wortgefechte und ihren psychologischen Feinblick. In diesem Kammerspiel sind es gerade die Dialoge, die den Charakter der Figuren ebenso sichtbar machen wie die Schauspielkunst des Ensembles. Im dritten Teil weicht die Inszenierung jedoch vom Original ab, denn Regisseur Marc Becker hat dem Geschehen eine zeitgemäße Wendung gegeben. „Wir haben die Frauen- und Männerrollen getauscht, um mehr Frische einzubringen und einen neuen Blickwinkel zu ermöglichen.“
Dass die Dialoge um das Universum wie die Erde um die Sonne kreisen, ist nicht zufällig gewählt. „Jedes Wort hat seinen Sinn, denken wir an den Apfel, den der Sohn von den Eltern fordert oder an die Wechselwirkung der Galaxien“, erläutert Frauke Allwardt. Doch überzeugt das Drama auch ohne göttlich-kosmische Ganzheitsparadigmen, denn – so fragt die Dramaturgin –„kennen wir das nicht alle, dass ein Abend ganz anders hätte ablaufen können, wenn der ein oder andere Satz nicht gefallen wäre?“