GIB STOFF. Facetten der Textilkunst
Ob nun Textil- oder Faserkunst genannt – in der zeitgenössischen Kunst ist der Gebrauch von Garn, Wolle, Häkelnadel oder Webstuhl aktueller denn je. Sind es die Eigenschaften der Materialien oder der außerordentliche Reichtum der Technik, die textile Kunst so reizvoll erscheinen lassen? Vier Positionen, die unterschiedlicher kaum sein könnten, bieten jetzt einen spannenden Einblick in diese Kunstgattung. Präsentiert werden Stickarbeiten, Objekte, Collagen und Wandteppiche. Die Gemeinsamkeit der beteiligten Künstlerinnen ist allein der titelgebende „Stoff“ als Ausgangsmaterial.
30. Mai 2024
Gabriele Böger näht aus Baumwolle und Leinen fantastische Wesen, die mitunter aus einer Aktentasche herauswachsen oder einen Sockel zu überwuchern scheinen. Die Körper versprechen dabei eine Weichheit, die trügerisch ist, denn Gabriele Böger festigt die Stoffe mit Bindemitteln, bevor sie die Einzelteile mit leuchtenden Aquarellfarben koloriert.
Anja Fußbach kreiert subversive Anspielungen auf kulturelle Phänomene, Sprichwörter oder – wie so oft in zeitgenössischer Kunst – auch die Kunst selbst. Das Spektrum ihrer Ausdrucksmittel reicht von Druckgrafik über Fotografie und Metallplastiken bis zur Textilkunst, die in ihrem Atelier zunehmend Raum einnimmt. Für die Ausstellung hat Anja Fußbach großformatige Wandteppiche geschaffen, in die sie mitunter skurrile Flohmarktfunde eingearbeitet hat.
Dörte Putensen setzt ihre Motive mit Stoffen und Garnen jeglicher Beschaffenheit um. Ihr künstlerisches Prinzip ist von Nachhaltigkeit geprägt, ihre Methode dem Patchwork – übersetzt „Flickwerk“ – entlehnt. Aus unzähligen Gewebefetzen lässt sie an der Nähmaschine collageartige Bilder entstehen, die im Ergebnis wie gemalt erscheinen, während ihr jüngstes Fadenspiel dem Zeichnen mit spitzen Buntstiften gleicht.
Stephanie Ritterhoff hat als promovierte Historikerin im zweiten Beruf das fast ausgestorbene Handwerk der Kunststickerei gelernt, das mit der Verwendung von Federn, Kristallen oder Pailletten allerhöchste Fingerfertigkeit erfordert. Bezugnehmend auf wissenschaftliche Studien, die zeigen, dass beim „Handarbeiten“ gleichzeitig mehrere Hirnregionen aktiv sind, ist ein wiederkehrendes Thema ihrer künstlerischen Arbeiten das menschliche Gehirn, dessen Funktion bis heute nicht gänzlich erforscht ist.
Begleitend zur Ausstellung öffnet der Rasteder Heimatverein Rastede die Türen des Mühlenhofs. Bereits seit seiner Gründung 1922 widmet sich der Verein der Aufgabe, Brauchtum und Kultur der Region für nachfolgende Generationen zu bewahren. Die Gruppe „Weben und Spinnen” trifft sich wöchentlich, um an den Spinnrädern und Webstühlen zu arbeiten und manchmal auch Wolle zu färben. Die Gruppe „Handarbeiten“ kommt ebenfalls zur gemeinsamen Arbeit zusammen. Im Mühlenhof lassen sich die Grundlagen textilen Arbeitens erlernen. Interessierte sind willkommen, beim Wolle Spinnen zuzuschauen und sich am Webstuhl gerne einmal selbst auszuprobieren. Die facettenreiche Sonderausstellung „GIB STOFF“ bietet allen Interessierten dafür große Inspiration.
Zur Ausstellung erscheint ein Katalog (40 Seiten, Isensee Verlag Oldenburg).