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Statt der Fernreise
Den Garten wie die Natur nachgestalten
Der Garten ist eigentlich nur das grüne Wohnzimmer vor dem Haus. Doch in den Zeiten der eingeschränkten Bewegungsfreiheit kann er mehr sein: Urlaubs- und Sehnsuchtsort. Er lässt sich entsprechend gestalten mit einer Bepflanzung, die so auch in der weltweiten Natur vorkommen könnte.
22. Juni 2020
Kleine alpine Felspartien werden mit einer Gartenmauer nachgebildet, ein schattiges Beet mit großblättrigen Pflanzen spielt mit dem Gefühl, durch einen Regenwald zu wandern. Nicht erst seit der Pandemie gibt es diesen Trend zum naturalistischen Gartenstil. Prof. Cassian Schmidt, Leiter des Schau- und Sichtungsgarten Hermannshof in Weinheim, erkennt darin eine gesellschaftliche Geisteshaltung. „Der Mensch sieht die Natur gefährdet, so dass er ihr im Garten mehr Raum gibt“, sagt er.
Dazu kommen zwei weitere Punkte: Die Wohnräume der Menschen verkleinern sich vielerorts; außerdem verändern die Eingriffe der Landwirtschaft die Natur. „Was verloren geht, will der Mensch wieder holen – und so versucht man dem Artensterben durch die Förderung von Vielfalt im Garten entgegenzuwirken“, sagt Sven Nürnberger, Gärtnermeister im Frankfurter Palmengarten und Buchautor.
Exotische Pflanzen für den heimischen Garten
Viele Gärten mit ihrem akkuraten Rasen und den bunt zusammengewürfelten Pflanzen haben wenig mit der Natur zu tun – und beim naturalistischen Gestaltungsansatz geht es auch nicht um die Nachbildung der eigenen Natur vor der Haustür mit heimischen Pflanzen.
Der naturalistische Garten bedient sich dem Repertoire von exotischen, nicht heimischen Pflanzen. „Man holt sich die Inspiration aus der Natur“, sagt Prof. Schmidt. Mit diesem Input erschafft man kreativ Gartenbilder von fremden Orten – und zwar in einer „überhöhten, ästhetischen Form“.
Als Beispiel führt er eine Steppenlandschaft an: „Sie lebt von Gräsern, den Rispen des Salbeis und den flachen schirmförmigen Blütenständen der Schafgarben.“ Diese typischen Pflanzen werden nach dem Chaosprinzip locker auf der Gartenfläche verteilt, ohne, dass einzelne Arten als größere Gruppe oder in schematischer Regelmäßigkeit auftauchen. So entsteht eine Pflanzung in drei Schichten: „Hohe Gerüstbildner, mittelhohe Füllpflanzen und flache Bodendecker sind die Grundlage für Vielfalt“, erklärt Prof. Schmidt.
Eine Natursteintreppe mit Alpenpflanzen
Eine Alternative ist die Landschaft des alpinen Hochgebirges: Man kann hierfür zum Beispiel eine Natursteintreppe im Garten als Grundlage nehmen und diese mit Polster- und Rosettenpflanzen aus diesem Gebiet bepflanzen, schlägt Nürnberger vor. Wichtig: Dafür nimmt man nicht nur echte Wildformen der Pflanzen, sondern auch robuste und erlesene Züchtungen, die ihren natürlichen Charakter bewahrt haben.
Der Garten für intelligente Faule
Wenn alles gepflanzt ist, gilt es loszulassen und die natürliche Entwicklung der Pflanzen zu beobachten. Die Gemeinschaft der Pflanzen hat eine eigene Dynamik. Man muss lernen, nur wenig lenkend einzugreifen und eine natürliche Interaktion der Strukturen zu akzeptieren.
„Der naturalistische Garten ist für intelligente Faule ideal – wobei die Betonung auf dem Adjektiv liegt“, sagt Prof. Schmidt dazu, und nimmt damit Bezug auf ein Zitat des bekannten Gartenphilosophs Karl Foerster (1874-1970).
Foto: Andrea Warnecke/dpa-tmn