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Die Vetra Betonfertigteile GmbH in Essen (Oldenburg) ersetzt den Stahl in Betonelementen durch Carbon. In Zusammenarbeit mit einer Hochschule in Zürich entstand so eine echte Weltneuheit. Dafür gibt es Innovationspreise, aktuell den Innovationspreis 2023 des Verbundes Oldenburger Münsterland.
28. November 2023
Bild: Stefan Gramberg leitet die Vetra Betonfertigteilewerke GmbH in Essen (Oldb.). Foto: Klaus-P. Jordan Als am 12. Oktober vergangenen Jahres Bundeskanzler Olaf Scholz und Bundesbauministerin Klara Geywitz Maßnahmen für eine Bau-, Investitions- und Innovationsoffensive vorstellten, spätestens da sahen sich Verantwortliche im oldenburgischen Essen, in Hamburg und in Zürich bestätigt: Wir sind auf dem richtigen Weg und machen gerade vieles richtig.
Mit ihrer Offensive will die Bundesregierung unter anderem erreichen, dass innovativer gebaut wird, dass mehr seriell vorgefertigte Teile verbaut werden und dass ressourcenschonender gebaut wird. Genau das passiert seit gut einem Jahr in Essen (Oldenburg). Und da dort eine echte Weltneuheit das Licht der Welt erblickt hat, gab es dafür am 24. November auch den Innovationspreis des Verbundes Oldenburger Münsterland.
Konservative Bauwirtschaft
Bild: Stefan Gramberg demonstriert, was mit den Carbon-Betonelementen gebaut werden kann – zum Beispiel auch Sprungtürme. Foto: Klaus-P. Jordan Stefan Gramberg ist Geschäftsführer der Vetra Betonfertigteile GmbH in Essen im Landkreis Cloppenburg. Der 59-Jährige weiß: „Die Bauwirtschaft an sich ist eher konservativ. Da ist es schwer, Innovationen durchzusetzen.“ Seit 1965 wird bei Vetra an verschiedenen ostfriesischen Standorten in Beton gemacht; seit 1973 werden auch Betonfertigteile hergestellt, klassischer Stahlbeton. 2008 übernahm der Schweizer Baustoffkonzern Holcim die Firma Vetra. Ende 2018 kaufte Holcim noch Teile der Alfons Greten Betonwerke in Essen (Oldenburg) und gliederte sie in Vetra ein.
Die Schweizer und ihre deutsche Tochter, die in Hamburg ihren Sitz hat, haben sich auf die Fahne geschrieben, innovative und nachhaltige Bauprodukte und -lösungen zu entwickeln. Ihre Mission: Mit weniger Material mehr bauen. In Zürich wurde man auf ein Forschungsprojekt der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) aufmerksam: den Stahl im Beton durch Carbon zu ersetzen. Mit der aus dem Forschungsprojekt entstandenen CPC AG ging Holcim 2019 eine Kooperation ein. Das Ziel: Betonelemente zu entwickeln, die statt mit Stahl mit dünnen, vorgespannten Carbonfasern verstärkt sind – sogenannte CPC-Betonelemente, wobei CPC für „carbon prestressed concrete“ steht. Erreicht werden soll damit nicht nur eine Materialeinsparung, sondern auch eine Reduzierung des CO2-Fußabdrucks – und noch einiges mehr.
Weniger Material und CO2
Bild: Carbonfasern statt Stahl im Beton. Foto: Holcim Vetra-Geschäftsführer Gramberg beschreibt die Schwachstellen von Stahlbeton: „Stahl rostet. Um das möglichst zu verhindern, muss die Betonschicht sehr dick sein.“ Das heißt: Viel Material, das auch nicht als gerade umweltfreundlich gilt. Mit Carbon statt Stahl kann die Betonschicht viel dünner sein, zwei bis sieben Zentimeter statt 25 Zentimeter. „Außerdem haben wir eine CO2-reduzierte Betonrezeptur entwickelt“, erklärt Gramberg. „Dies ermöglicht eine Materialeinsparung von bis zu 80 Prozent und reduziert den CO2-Fußabdruck um bis zu 75 Prozent.“ Außerdem hätten die neuartigen Betonelemente eine sehr lange Lebensdauer von mehr als einhundert Jahren, einen reduzierten Wartungsaufwand, ermöglichten eine schnellere Montage und seien 100-prozentig recycelfähig, wirbt Vetra für seine Weltneuheit, die man sich natürlich frühzeitig patentrechtlich schützen ließ.
In kurzer Zeit wurde im südoldenburgischen Essen die weltweit erste industrielle Großanlage zur Produktion von Carbonbetonplatten erstellt und im Oktober 2022 in Betrieb genommen. „Wir können hier 50.000 Quadratmeter Carbonbetonplatten pro Jahr herstellen“, berichtet Gramberg. „Und wenn der Markt da ist, können wir die Kapazität hier am Standort Essen auch noch verdoppeln.“
Großes Marktpotenzial
Und was ist das für ein Markt? Bei Holcim sieht man Einsatzbereiche sowohl im Hoch- wie im Tiefbau als auch dem Brückenbau. Und auch Prof. Josef Kurath, Verwaltungsrat bei der Schweizer CPC AG, ist sich sicher: „Die exklusive Kooperation mit Holcim ermöglicht es uns, mit den innovativen dünnen Betonelementen einen deutlich größeren Markt zu durchdringen.“ Bei Vetra nennt man sogar angestrebte Marktanteile: 20 Prozent bei Fußgänger- und Fahrradbrücken, ebenso 20 Prozent bei Balkonen. Chancen sieht man auch bei kleineren befahrbaren Brücken, bei Fassaden sowie Treppenstufen. Während der Umsatz im Anlaufjahr 2022 mit 200.000 Euro noch bescheiden war, werden für nächstes Jahr bereits etwa 13 Millionen Euro angepeilt. Bild: Diese Stahlhängeseilbrücke mit Carbon-Betonelementen steht bereits im schweizerischen Andelfingen. Foto: Holcim Eine ganze Reihe an Projekten ist bereits realisiert – vor allem in der Schweiz. „Da sind die regulatorischen Anforderungen wesentlich geringer als in Deutschland“, begründet Gramberg dies. Man wolle sich zunächst auf Bereiche konzentrieren, wo es möglichst wenige Widerstände gibt. Inzwischen gibt es aber auch für Deutschland eine allgemeine bauaufsichtliche Zulassung. Damit seien auch hier die rechtlichen Voraussetzungen für den unkomplizierten Einsatz der dünnen CPC-Betonfertigteile geschaffen worden. Das Ziel sei, Systemanbieter von kompletten Lösungen in einer neuen Bauweise zu werden.
Zwei Innovationspreise
Dass hier im Oldenburger Münsterland Großes auf die Beine gestellt wurde, haben auch andere erkannt. Auf der bauma, der Weltleitmesse für Baumaschinen, gab es für die Carbon-Betonfertigteile Ende vergangenen Jahres in der Kategorie Bauen bereits einen Innovationspreis. Nun noch den vom Verbund Oldenburger Münsterland. Und im kleinen Entwicklungsteam von Vetra um Stefan Gramberg fragt man sich manchmal: „Was machen wir hier eigentlich für einen geilen Sch . . .?“ Es sei ungemein spannend, an der Spitze einer neuen Entwicklung zu stehen. „Das ist Raketenwissenschaft“, so der Vetra-Chef stolz.
Autor
Klaus-Peter Jordan
Klaus-Peter Jordan ist als freier Journalist tätig.
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